Dieses Blog durchsuchen

Freitag, 28. August 2009

Ungerechtes Schulsystem - neue Studie

Zu den Geschichten um die Geschwister-Scholl-Schule zählen eigentlich nur interne Vorgänge, also das, was unmittelbar in dieser Schule geschieht. Aber hin und wieder drängen sich Entwicklungen von außen ins Blickfeld.
Aus diesem Grunde sei es gestattet, eine Studie zu erwähnen, von der SPIEGEL-ONLINE heute brichtet und die im folgenden wiedergegeben wird. Ein zusätzliche Rechtfertigung erhält der Abdruck, weil dem Schulleiter das Herz blutet, wenn er dieses liest - war er doch vor mehr als 40 Jahre zum Beginn seiner Berufslaufbahn angetreten, um diesen Missstand zu mildern.

Gute Noten und dennoch schlechte Chancen - auf die Schullaufbahn von Kindern hat der Bildungsstand ihrer Eltern großen Einfluss. Viele Schüler werden systematisch unterfordert, zeigt eine neue Studie: Sie landen auf der Hauptschule, obwohl sie zu mehr fähig wären.
Nach und nach enden die Sommerferien in den Bundesländern, viele Kinder wechseln von der Grund- auf eine weiterführende Schule. Und oft ist es dabei mit der Chancengleichheit nicht weit her: 17 Prozent besuchen einen Schultyp unterhalb ihres Leistungsniveaus (Underachievement in der Forscher-Fachsprache), weitere 13 Prozent eine Schule oberhalb ihres Potentials (Overachievement). Das ist das Ergebnis einer Studie des Berliner Wissenschaftszentrums für Sozialforschung und dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, die am Mittwoch vorgestellt wurde.
Die Forscher untersuchten die Schullaufbahn von 900 repräsentativ ausgewählten Kindern. Sie kamen auf eine hohe Quote von Fehlentscheidungen, die große Konsequenzen für das weitere Leben haben können: Vor allem Kinder von Nicht-Akademikern gehen häufig nicht auf die Realschule oder das Gymnasium, obwohl sie dazu fähig wären. Für diese Kinder ist dieses Risiko zweieinhalb Mal so hoch wie für Kinder aus Akademikerhaushalten. Manche geprüfte Hauptschüler hätten sogar auf ein Gymnasium gehen können.
Zuvor hatte schon eine Reihe anderer Untersuchungen, vor allem im Umfeld der Pisa- und Iglu-Studien, gezeigt, dass der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und schulischen Chancen im stark selektiven deutschen Schulsystem deutlich größer ist als in den meisten anderen Ländern - und dass Lehrer mit ihren Schulempfehlungen häufig falsch liegen. Andere Bildungsforscher ermittelten sogar eine noch deutlich höhere Quote von Empfehlungen, die nicht durch die Noten und das Leistungspotential gedeckt sind, nämlich bis zu 50 Prozent, was Iglu-Forscher Wilfried Bos als "bildungspolitischen Skandal" wertete.
In ihrer Studie bestätigen auch die Berliner Bildungsforscher Heike Solga und Johannes Uhlig jetzt, wie deutlich der Einfluss des Bildungsgrades der Eltern auf die Schullaufbahn ihrer Kinder ist. Die Forscher testeten das Lernpotential der Schüler und stellten so für jede Schulform Mittelwerte auf. Unter Berücksichtigung einer Standardabweichung wurde so festgestellt, ob ein Schüler an seiner Schule unter- oder überfordert ist. Insgesamt ist der Anteil der Schüler, die nach der Grundschule auf eine falsche Schulform wechseln, hoch: 30 Prozent der Schüler besuchten einen Schultyp über oder unter ihrem Leistungsniveau, so die Studie.
"Das deutsche Schulsystem ist wenig begründbar"
Dabei ist Unterforderung bei Kindern aus Akademikerfamilien kaum ein Problem: Fast vier Fünftel besuchten das Gymnasium. Bei Schülern aus Haushalten ohne solchen Bildungshintergrund ist es dagegen nur rund ein Drittel. Bei Hauptschulen ergab sich das umgekehrte Bild: Dort lernt jedes vierte Kind aus einem nicht-akademischen Elternhaus - aber nur jedes zwanzigste Kind, dessen Eltern einen Hochschulabschluss haben.
Die Studie zeige, wie wenig begründbar "das deutsche Schulsystem mit seinen Zuweisungspraktiken zu unterschiedlichen, für den weiteren Lebensverlauf folgenschweren Bildungskarrieren ist", schreiben die Wissenschaftler. Systematische Unterforderung könne fatale Folgen haben: Vielen Kindern würden die Chancen auf ein späteres Studium frühzeitig verbaut. Sie könnten ihr Potential nicht nutzen, ihre Motivation in Bezug auf Bildung werde nicht genug gefördert. Eine Lösung könne sein, Jugendliche möglichst spät in unterschiedliche Bildungswege zu schicken.
Anders formuliert: Beim großen Sieben an Oberschulen greift die Unterschichtsbremse bisher höchst zuverlässig , wie auch eine Wiesbadener Studie zeigte. Wer allerdings längeres gemeinsames Lernen fordert, begibt sich gleich mitten hinein in den Glaubenskrieg ums richtige Schulsystem, schon seit dem Streit um Gesamtschulen in den siebziger Jahren ein echtes deutsches Reizthema. Damit machen derzeit Bundesländer, die ihre Schulen umbauen wollen, derbe Erfahrungen, etwa Bildungssenatorin Christa Goetsch im schwarz-grün regierten Hamburg. Dort läuft die Lobby der Gymnasial-Eltern Sturm gegen die Schulreform, obwohl lediglich die Verlängerung der gemeinsamen Grundschulzeit auf sechs statt vier Jahre geplant ist, nicht etwa die Wiederbelebung von Gesamtschulen.
Dabei gilt bei allen Veränderungen das Gymnasium stets als unantastbar: "Alle Eltern, die etwas zu sagen haben, die kampagnenfähig sind, schicken ihre Kinder aufs Gymnasium - die werden den Teufel tun, diese Schulform abzuschaffen", sagte Bildungsforscher Wilfried Bos im SPIEGEL-ONLINE-Interview. "Warum tun wir zehnjährigen Kindern den Stress an, sie mindestens ein halbes Jahr lang für den Schulwechsel zu drillen? Und warum lassen wir die Hauptschüler dumm in der Ecke stehen? Nur: Es wird nicht gelingen, das Gymnasium abzuschaffen. Wer das versucht, wird nicht wiedergewählt."

Keine Kommentare: